Arbeiterfußball: Sonderausstellung im FC St. Pauli-Museum

Der „andere Fußball“ beim „etwas anderen Verein“: „100 Jahre Arbeiterfußball – 125 Jahre Arbeitersport“ ist das Motto der neuen Sonderausstellung, die das FC St. Pauli-Museum am Millerntor vom 22. Oktober 2020 bis 14. März 2021 in Hamburg zeigt (Achtung: derzeit Corona-Pause!). Besucher*innen erwartet eine Reise in ein fast vergessenes Sport-Universum mit vielen Bildern und Informationen und über 50 Original-Objekten aus der Blütezeit des Arbeitersports sowie dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Und ganz nebenbei die Aufklärung eines weit verbreiteten Missverständnisses über den FC St. Pauli.
Digitale Vernissage: Video-Statements zum Arbeiterfußball u.a. von Ewald Lienen, Historiker Heinrich Nahr und Roger Hasenbein findet ihr„Der FC St. Pauli wird gern als Arbeiterverein bezeichnet“, so Christoph Nagel, Vorstandsmitglied des Betreibervereins 1910 – Museum für den FC St. Pauli e.V. und Kurator der aktuellen Dauerausstellung „KIEZBEBEN 2.0“. „Das trifft in dieser Form aber nicht zu: Zwar haben im FC St. Pauli viele Arbeiterinnen und Arbeiter Sport getrieben, und noch mehr waren im Publikum. Zur Arbeitersportbewegung gehörten die ‚Kiezkicker‘ jedoch nicht.“ (Interview zum Thema auf taz.de)
In der heutzutage fast vergessenen Arbeitersportbewegung organisierten sich ab Ende des 19. Jahrhunderts Männer und Frauen aus der Arbeiterbewegung, um Sport und Klassenbewusstsein miteinander zu verbinden und sich vom nationalistisch ausgerichteten bürgerlichen Sportbetrieb abzugrenzen. Ihre große Zeit erlebte sie bis 1933.
Nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler zerschlugen die Nationalsozialisten den Arbeitersport. Viele seiner Protagonisten wurden verfolgt, inhaftiert und ermordet. Trotz der Lebensgefahr beteiligten sich Arbeitersportler aktiv an antifaschistischen Widerstandsaktionen und Widerstandsgruppen im Untergrund.
In der Ausstellung erinnern neben vielen Informationen und Bildern auch über 50 Original-Objekte an den Arbeitersport in seiner Blütezeit und auch im Widerstand – Beispielsweise Zeitschriften, Banner, Fahnen und eine Tarnschrift von 1937, die unter dem Deckmantel einer Sportzeitung ein antifaschistisches Manifest verbirgt (mehr darüber auf fcstpauli.com).
Ein eigenes Sport-Universum
Als Teil der Arbeitersportbewegung hatten die Arbeiterfußballer eigene Verbände und Vereine, eigene Ligen, eigene Meisterschaften, eigene Publikationen – und eine eigene Philosophie: Als „Sport für alle“ setzte sich der Arbeitersport die Erhaltung der Gesundheit als oberstes Ziel. Der sportliche Erfolg sollte diesem Streben untergeordnet sein. Darum galt es im Arbeiterfußball als Ausdruck besonderer Fairness, auf Elfmetertore zu verzichten. Vielfach wurde der Ball bei Strafstößen bewusst vorbei oder in die Hände des Torwarts geschossen.
Von den Werten des Arbeiterfußballs zeigte sich auch Ewald Lienen, Technischer Direktor des FC St. Pauli und Schirmherr von BAM! Bildung am Millerntor, beeindruckt:
„Ich bin überwältigt. … Für mich ist es beeindruckend, zu sehen, wie dieser Arbeitersport traditionell vor über 100 Jahren Werte verkörpert hat, die heute für uns genauso wichtig sind. Ein anderer Fußball, ein anderer Sport ist möglich. Und daran erinnert uns diese Ausstellung.“
Auch die Friedensförderung wurde im Arbeiterfußball großgeschrieben: Obwohl – oder gerade weil – die europäischen Arbeiter im Ersten Weltkrieg die meisten Opfer zu beklagen hatten, erwuchs bei ihnen der Wunsch nach sportlichen Kontakten zu ehemaligen „Feinden“. Während die Länderauswahl des Deutschen Fußball Bundes (DFB) erst 1931 das erste Mal gegen Frankreich spielte, reiste eine ATSB-Auswahl schon 1924 aus Deutschland zum „Arbeiter-Länderspiel“ nach Paris.
„Eng verknüpft mit der Geschichte der deutschen Demokratie“
Erstellt wurden die Rollups und Stellwände der „Arbeiterfußball“-Ausstellung von den Experten des 2017 gegründeten Paderborner Kreises – Arbeiterfußball e.V. um den Sporthistoriker und Pädagogen Dr. Eike Stiller. Ihre Premiere feierte die Wanderausstellung im Deutschen Fußball Museum im Herbst 2018.
Dass sie nun in Hamburg-St. Pauli Station macht (eigens ergänzt um ein neues Kapitel zum Arbeiterfußball in Hamburg), geht auf die Initiative des Projekts BAM! Bildung am Millerntor zurück, das als Teil von 1910 – Museum für den FC St. Pauli e.V. und unter dem Dach der bundesweiten Initiative Lernort Stadion e.V. Workshops für Schulklassen und Jugendgruppen veranstaltet.
„Die Geschichte der Arbeiterbewegung ist eng verknüpft mit der Geschichte der deutschen Demokratie“, so Hanna Christian, die BAM! mit Fabian Fritz leitet. „Als Lernort der politischen Bildung ist Demokratiepädagogik ein grundlegendes Ziel unserer Workshops.“
Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten
Zugleich findet die Hamburger Arbeiterfußball-Ausstellung im Kontext der 27. Ausschreibung des Geschichtswettbewerbs des Bundespräsidenten statt, den BAM! unterstützt. Der Geschichtswettbewerb wird seit 1973 von der Hamburger Körber-Stiftung ausgerichtet.
„Bewegte Zeiten. Sport macht Gesellschaft“ ist das diesjährige Motto, zu dem Teilnehmer*innen in Einrichtungen wie eben dem FC St. Pauli-Museum historische Themen erforschen und in Wettbewerbs-Beiträgen verarbeiten: „Im aktiven Lernen im Museum sollen die Teilnehmenden dazu angeregt werden, Inhalte selbst zu erforschen und sich individuell und in der Gruppe mit Sachverhalten, Einstellungen und Verhaltensmustern kritisch auseinanderzusetzen und damit am Geschichtswettbewerb teilnehmen“, erklärt Fabian Fritz.
ist vom 22. Oktober 2020 bis 24. Januar 2021
im FC St. Pauli-Museum, Heiligengeistfeld 1, 20359 Hamburg zu sehen.
Achtung: Corona-Pause ab 02.11. bis mind. 20.12.2020 (Hier Info der Stadt Hamburg)
Der Eintritt ist im regulären Museumsticket inbegriffen (7 Euro Standard / 4 Euro ermäßigt).
Öffnungszeiten: Do 15-22 Uhr, Fr 15-19 Uhr, Sa+So 11-19 Uhr.
Gesonderte Öffnungszeiten für Teilnehmende des Geschichtswettbewerbs auf individuelle Vereinbarung unter:
lernort@1910-museum.de
www.bildung-am-millerntor.de | www.arbeiterfussball.de | www.geschichtswettbewerb.de