Von großen und kleinen Kämpfen: Talk über Geschichte und Gegenwart der FCSP-Frauenteams

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Eins stand schon vor Beginn der Veranstaltung fest: Frauenfußball gibt es nicht. Unter diesem Motto haben am 8. März 2021, dem Internationalen Feministischen Kampftag, vier Fußball-Expertinnen im FC St. Pauli-Museum über Vergangenheit und Gegenwart der Fußballerinnen im FC St. Pauli diskutiert. Wer per Livestream dabei war, erlebte eine hochinteressante und lebhafte Talkrunde mit einer klaren Prämisse: Es gibt nur Fußball. Von Frauen ebenso gespielt wie von Männern.

Zu Gast waren Nico Appel, Hagar Groeteke, Inga Schlegel und Barbara Klawun. Gemeinsam mit Moderatorin Britta Hemker blickten sie auf 30 Jahre weibliche Fußballgeschichte am Millerntor zurück und diskutierten den aktuellen Status der Frauen- und Mädchenabteilung im Verein.

Hagar Groeteke und Barbara Klawun gehörten zu den Frauen, die sich 1990 das Recht erkämpften, für den FC St. Pauli Fußball zu spielen. Nachdem das erste Frauenteam der braun-weißen Fußballgeschichte im Verein auf starke Widerstände gestoßen und 1972 nach nur zwei Jahren aufgelöst worden war, erlebten Hagar und Barbara auch bei der zweiten Gründung zahlreiche Konflikte: Unterstützung von Vereinsseite gab es zu Beginn kaum. Stattdessen sah sich das braun-weiße Frauenteam mit Ignoranz, Schikane und offener Ablehnung konfrontiert: „Es gab genug Platzzeiten“, so Barbara Klawun. „Man wollte uns nur einfach keine geben.“ Frauen, die Anfang der 1990er beim FC St. Pauli kicken wollten, brauchten starke Nerven, viel Geduld – und bisweilen ein wenig kriminelle Energie.

Mit dem Bolzenschneider zum Training

„Die haben uns den Lichtschrankschlüssel nicht gegeben“, erzählt Hagar Groeteke. „Dann konnten wir auf unseren ranzigen Grandplätzen im Winter und im Herbst ab 17 Uhr nix mehr sehen.“ Die Lösung? Ganz einfach: „Wir sind mit dem Bolzenschneider zum Training. Dann haben wir das Schloss aufgeknackt, das Licht angeschaltet – das war in so ‘nem Kasten mit Vorhängeschloss – hinterher das Licht wieder ausgeschaltet, das kaputte Vorhängeschloss wieder drangehängt (wir wollten uns ja nicht unterstellen lassen, dass wir ein Vorhängeschloss klauen) und sind mit unserem Bolzenschneider wieder nach Hause gegangen. Das haben wir monatelang gemacht.“

Die Teilnehmerinnen von l.n.r. und im Uhrzeigersinn: Hagar Groeteke, Nico Appel, Barbara Klawun und Inga Schlegel. Mehr über die Teilnehmerinnen im Vorbericht – einfach das Bild anklicken!

Heute gibt es beim FC St. Pauli neun Frauen- und Mädchenteams, die „ein sehr gutes Verhältnis zu den Herrenfußballern“ pflegen, wie Inga Schlegel als stellvertretende Leiterin der Frauen- und Mädchenfußballabteilung des FC St. Pauli betont. Obwohl sich in den letzten 30 Jahren einiges zum Positiven verändert hat und die Frauen- und Mädchen-Teams mittlerweile von Präsidium und Geschäftsstelle unterstützt werden, ist es für Inga von großer Bedeutung, die Geschichte ihrer Abteilung aufzuarbeiten: „Ich bin total dankbar für das, was diese ‚Damen‘ geschafft haben und geschaffen haben und finde es wichtig, dass wir das auch nicht vergessen. […] Frauen und Mädchen, die neu in die Abteilung kommen, kennen diese Geschichte halt nicht. Und sie ist leider nicht so gut dokumentiert, dass man das irgendwo nachlesen könnte.“ Hier sieht sich auch das FC St. Pauli-Museum in der Pflicht.

Gleichberechtigung im Fußball weit entfernt

Trotz aller Fortschritte: Die Rednerinnen waren sich einig, dass noch viel getan werden muss, bevor Frauen und Männer gleichberechtigt Fußball spielen. Die großen und kleinen Kämpfe der letzten 30 Jahre zogen sich wie ein roter Faden durch die Veranstaltung: Kämpfe um Anerkennung, Respekt, die Art und Weise, wie über fußballspielende Frauen gesprochen wird – und nicht zuletzt um finanzielle Ressourcen. Ein Großteil der Sponsoren- und Fernsehgelder fließt nach wie vor im Männerbereich.

Zwischen professionellen Fußballerinnen und Fußballern gibt es nach wie vor einen signifikanten Einkommensunterschied, stellt Barbara fest. Die wenigsten Fußballerinnen können von der Vergütung ihrer sportlichen Leistung leben. „Eine Frau, die wirklich professionell Fußball spielen will, muss sich selber finanzieren“, ergänzt Inga. Auch bei der Nachwuchsförderung gibt es starke Unterschiede. Nico Appel, seit 24 Jahren in der Frauen- und Mädchenabteilung des FC St. Pauli aktiv: „Was erzählen wir denn einem D-Mädchen, von dem die Trainerin sagt: ‚Die hat total Potential, vielleicht mal eine Bundesligaspielerin zu sein‘? Sie muss diesen Verein verlassen, weil sie hier nicht entsprechend gefördert werden kann.“ Hagar Groeteke kritisiert, dass der im deutschen Fußball gängige Name „Nachwuchsleistungszentrum“ auch beim FC St. Pauli eine Diversität suggeriert, die de facto nicht gegeben ist: „Wenn da kein einziges Mädchen ist, […] müsste das ‚Nachwuchsleistungszentrum‘ eigentlich ‚Nachwuchsleistungszentrum für Jungs‘ heißen.“

Auf die Frage, was sich in Zukunft ändern muss, um einen gleichberechtigten Zugang zum Fußball für Frauen und Männer zu schaffen, hat Inga Schlegel eine klare Antwort: „Ich würde mir wünschen, dass Spiele der Frauen mehr Aufmerksamkeit bekommen.“ Und das natürlich nicht, indem man Spielerinnen in kürzere Hosen und engere Trikots steckt. „Warum sollen Leute Fußball gucken? Weil sie den Sport gut finden. Weil sie toll finden, was da geleistet wird und wie da Fußball gespielt wird – und nicht, wie eng das Trikot ist.“ Damit sich wirklich etwas ändert, so Barbara und Inga, müssen Fußballerinnen Gleichberechtigung nicht nur wünschen, sondern aktiv einfordern. Nico stimmt zu: „Dieses Gerede, dass wir alles anders haben wollen und keiner packt an, bringt dann auch nichts mehr.“

Wollt ihr mehr über die Geschichte und Gegenwart der Frauenteams des FC St. Pauli erfahren? Möchtet ihr wissen, was Barbara, Hagar, Inga und Nico über Sexismus im Stadion denken und wie sich ihr Fan-Dasein in den letzten Jahrzehnten verändert hat? Dann schaut euch die Aufzeichnung des Livestreams an: Auf YouTube oder Facebook (Teil 1 | Teil 2).